Das Museum als Erfahrungsort
Das neue Museumskonzept macht den BesucherInnen auch erstmals die privaten Räume der Familie Freud zugänglich. Diese geben Aufschluss über die bewegte Familiengeschichte, erzählen vom Alltag einer Wiener Familie um die Jahrhundertwende und verorten Freuds Wirken im gesellschaftlichen Kontext seiner Zeit.
In Freuds psychoanalytischen Praxisräumen vermittelt die im Original erhaltene Möblierung des Wartezimmers die für Wien so kennzeichnende Atmosphäre eines Interieurs des 19. Jahrhunderts. Die Präsentation in seinem Arbeitszimmer widmet sich der psychoanalytischen Theoriebildung wie auch Freuds kulturtheoretischen Schriften. Seine vielfältigen Korrespondenzen mit KollegInnen, FreundInnen und PatientInnen, die insgesamt ein Konvolut von knapp 20.000 Briefen umfassen, werden hier dargestellt.
In jenen Räumen, in denen Anna Freud seit Beginn der 1920er Jahre ihre eigene psychoanalytische Ordination für Erwachsene und vor allem Kinder unterhielt, wird ihr maßgebliches Wirken in Theorie und Praxis vorgestellt.
In Freuds Behandlungsraum werden Kernthemen der psychoanalytischen Behandlungsmethode und Praxis verhandelt. Der Leerstelle, die durch die Abwesenheit der Couch in diesem Raum zurückgeblieben ist, kommt in der neuen Dauerausstellung besondere Bedeutung zu: Das Fehlen dieses zur Ikone der Psychoanalyse avancierten Möbels kennzeichnet das Museum als einen entkernten Erinnerungsort und liefert den Verlusten, die unsere Geschichte schrieb, ein Sinnbild: Freuds Flucht vor dem Nationalsozialismus steht pars pro toto für Millionen Geflüchteter und Ermordeter.
Freuds „erste Ordination“ im Hochparterre der Berggasse 19, in der er zwischen 1896 und 1908 PatientInnen wie „Dora“ behandelte, ist auch jener Ort, an dem der „Vater der Psychoanalyse“ die zentralen Texte der Entstehungsphase seiner Wissenschaft wie Die Traumdeutung oder Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie verfasste. Hier werden ausgewählte Werke der zeitgenössischen Konzeptkunst-Sammlung des Sigmund Freud Museums – unter anderem Arbeiten von Pier Paolo Calzolari, Joseph Kosuth, Franz West, Heimo Zobernig, Sherrie Levine und Georg Herold – wesentliche Aspekte der Psychoanalyse wie auch deren Wirkungsgeschichte im Bereich der Kunstproduktion beleuchten.
Ziel der Neukonzeption ist es, der einstigen Bedeutung und Funktion der historischen Räume in der Berggasse 19 nachzuspüren. Durch zeitgemäße Vermittlungsinstrumente werden die vielschichtigen Inhalte dieses Kulturstandortes – von der Darstellung der Entwicklung der Psychoanalyse als Wissenschaft des Unbewussten über die Gefahr ihrer Auslöschung im Nationalsozialismus bis hin zur Befragung ihrer aktuellen Bedeutung – fachgerecht aufbereitet, kritisch beleuchtet und einer breiten Öffentlichkeit vermittelt.
Die Bibliothek der Psychoanalyse
Das über dem Museum befindliche Stockwerk wird zur Gänze den umfassenden wissenschaftlichen Aktivitäten der Sigmund Freud Privatstiftung gewidmet: Der „Wissenschaftsstock“ wird neben dem Archiv die Bibliothek der Psychoanalyse beherbergen, die mit ihrem Bestand von knapp 40.000 Titeln die größte psychoanalytische Fachbibliothek Europas darstellt – weltweit die zweitgrößte. Erstmals werden sämtliche Bücher und Bestandsgruppen auf einer Ebene zusammengeführt und allen LeserInnen zugänglich gemacht.
In die Studienbibliothek werden Arbeitsplätze integriert, die dem eigenen Wissenschaftspersonal sowie Gästen aus dem In- und Ausland zur Verfügung stehen: PsychoanalytikerInnen, ForscherInnen, KooperationspartnerInnen sowie privaten InteressentInnen. Für den wissenschaftlichen Nachwuchs werden Programme wie Rechercheworkshops für Studierende und die Betreuung von SchülerInnen im Rahmen ihrer vorwissenschaftlichen Arbeiten (VWA) angeboten.
Das Herzstück des Wissenschaftsbereichs bildet der multifunktionale Vortrags- und Lesesaal: Im „historischen Salon“ im ersten Obergeschoß werden regelmäßig Vorträge, Konferenzen, Workshops und Filmscreenings stattfinden.